Donnerstag, 9. März 2017
Fluchtfahrzeug
Vielleicht braucht es noch seine Zeit, besonders weit bin ich ja noch nicht in der neuen Gedankenwelt. Aber der Vergleich meiner Empfindungen mit dem Gebaren junger Eltern und Schwangerer deutet auf eine Kluft hin, die tiefer ist als der Mariannengraben.

Ich freue mich auf J. Ich freue mich auch auf meine Rolle als Vater, darauf einen Menschen zu begleiten, vorzubereiten und zu formen. Ich freue mich darauf, meine eigenen Gesichtszüge und irgendwann vielleicht auch mal meine Marotten an meinem Kind zu entdecken. Und ja: ich freue mich auch darauf, die Kisten mit meinen Spielsachen aus dem Keller meiner Eltern zu holen. Aber mit dem Meisten von dem ganzen Schi-Schi um mich herum kann ich nichts anfangen.

Ich unterstelle den meisten Menschen…und vor allem den meisten spätgebärenden Akademikern, also meiner eigenen Kaste, die falschen Motive für ihren Kinderwunsch. Sie begehen eine Art Kindesmissbrauch. Das Kind wird zum Gegenstand. Zum Statussymbol mit seiner teuren, chicen, niedlichen Kleidung. Zum Lieferanten von Zuneigung, die einem der Partner schon lange nicht mehr geben kann oder will. Und ganz besonders zum Vehikel für den Ausweg aus dem eigenen öden, trüben Leben. Zum Fluchtfahrzeug.

Nur so ist es zu erklären, dass die ganze Schwangerschaft mit Trivialem zugebracht wird. Mit Elternzeit- und Elterngeldplanung, mit Vorbereitungs- und Rückbildungskursanmeldungen, mit der Suche nach dem perfekten Kreißsaal, mit Internetrecherche nach den tollsten Babyflohmärkten, mit der Einrichtung eines Kinderzimmers, das erst zwei oder drei Jahre später benötigt wird. Statt sich um das Wichtigste zu kümmern: sich mal fünf Minuten hinzusetzen und sich die Frage zu stellen, was für eine Mutter, was für ein Vater man eigentlich sein will. Was man seinem Kind eigentlich vermitteln möchte, sobald es da ist. Aber dafür müsste man ja mal in sich gehen und sich mit sich selbst beschäftigen. Völlig out.

Nein, es werden lieber Bücher gelesen über Stress- und Konfliktbewältigung, über Wickelmethoden und Schlafpositionen, „Mami to go“ und „Baby-Betriebsanleitung“ und „Wir sind Papa!“ und „Oje, ich wachse“.

Alles hochprofessionell. Als ob ein Kind am Anfang mehr bräuchte als Papas Arme und Mamas Brust. Es geht ihnen nicht um das Kind. Es geht ihnen um das neue Leben. Ums Angeben nach außen…und ums Einkitschen nach innen.

Frauen, die sich jahrelang geplagt haben mit Ausbildung und Beruf und geschimpft haben über Chancenungleichheit und geschrien haben nach der Frauenquote für Führungspositionen, träumen plötzlich nur noch vom Ausstieg. Vom Zuhausesitzen und Babyverwöhnen. Erst die Elternzeit, dann die Rückkehr in Teilzeit, dann die nächste Elternzeit, dann die nächste vielleicht endgültige Rückkehr in Teilzeit.
Das Kind ist der Weg hinaus aus der Pflicht, wird selbst aber als solche verkauft. Wehe, einer lacht! Hier wird nicht weniger als unsere Gesellschaft gerettet! Mit Nachwuchs, selbstverständlich hochbegabt. Das sind sie alle. Und nun her mit dem Mutterkreuz!

Was soll aus einem Kind werden, das aus selbstsüchtigen Motiven seiner Eltern in die Welt gesetzt worden ist? Das von Anfang an nicht mehr war als ein Schmuckstück für Mami, die Eintrittskarte in eine neue Welt, weil Mama und Papa es in der Realität nicht mehr ausgehalten haben…auch wenn sie nun gern so tun und reden, als wüssten allein sie, was das echte Leben ist.

Wie kommen Mama und Papa eigentlich auf die Idee, mit dieser armseligen Realitätsflucht stünden sie moralisch über der Klientel, die sich am Wochenende selbstgeschneiderte Gewänder anzieht und selbstgeschmiedete Schwerter umschnallt und auf Mittelalterfestivals herumstrunkelt?

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