Donnerstag, 16. März 2017
Wann?
Wann erzählt man´s denn? Das ist wohl die erste Frage, zu der ich meine Meinung geändert habe, seit ich selbst in der Situation bin. Früher hat es mich unheimlich verärgert und bisweilen auch enttäuscht, wenn Personen meines näheren Umfelds „die Bombe“ haben „platzen“ lassen…und ich auf drei Monate zurückblicken musste, in denen sie nicht bloß ein Geheimnis vor mir hatten, sondern mich teilweise sogar aktiv belogen haben. Das finde ich noch immer unterirdisch und wünsche ihnen dafür juckende, schuppende, suppende Krankheiten.

Dass man aber nicht sofort losrennt und es jedem ins Ohr brüllt, man erwarte ein Kind, das verstehe ich nun besser. Man wartet doch lieber noch ein wenig ab, ob denn auch wirklich alles gut geht.

„Ein Kind zu verlieren, ist doch keine Schande!“, dachte ich dazu immer. Das ist wahr. Aber die Vorstellung, in diesem Fall bemitleidet zu werden…oder auch bloß ständig gefragt zu werden, wie es denn gehe und ob noch alles in Ordnung sei…sie gefällt mir nicht. Und deshalb finde ich es nun gut und richtig, noch ein bisschen zu warten. Aber nicht zu lange. Bald sollten es ein paar Leute schon erfahren…

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Donnerstag, 9. März 2017
Fluchtfahrzeug
Vielleicht braucht es noch seine Zeit, besonders weit bin ich ja noch nicht in der neuen Gedankenwelt. Aber der Vergleich meiner Empfindungen mit dem Gebaren junger Eltern und Schwangerer deutet auf eine Kluft hin, die tiefer ist als der Mariannengraben.

Ich freue mich auf J. Ich freue mich auch auf meine Rolle als Vater, darauf einen Menschen zu begleiten, vorzubereiten und zu formen. Ich freue mich darauf, meine eigenen Gesichtszüge und irgendwann vielleicht auch mal meine Marotten an meinem Kind zu entdecken. Und ja: ich freue mich auch darauf, die Kisten mit meinen Spielsachen aus dem Keller meiner Eltern zu holen. Aber mit dem Meisten von dem ganzen Schi-Schi um mich herum kann ich nichts anfangen.

Ich unterstelle den meisten Menschen…und vor allem den meisten spätgebärenden Akademikern, also meiner eigenen Kaste, die falschen Motive für ihren Kinderwunsch. Sie begehen eine Art Kindesmissbrauch. Das Kind wird zum Gegenstand. Zum Statussymbol mit seiner teuren, chicen, niedlichen Kleidung. Zum Lieferanten von Zuneigung, die einem der Partner schon lange nicht mehr geben kann oder will. Und ganz besonders zum Vehikel für den Ausweg aus dem eigenen öden, trüben Leben. Zum Fluchtfahrzeug.

Nur so ist es zu erklären, dass die ganze Schwangerschaft mit Trivialem zugebracht wird. Mit Elternzeit- und Elterngeldplanung, mit Vorbereitungs- und Rückbildungskursanmeldungen, mit der Suche nach dem perfekten Kreißsaal, mit Internetrecherche nach den tollsten Babyflohmärkten, mit der Einrichtung eines Kinderzimmers, das erst zwei oder drei Jahre später benötigt wird. Statt sich um das Wichtigste zu kümmern: sich mal fünf Minuten hinzusetzen und sich die Frage zu stellen, was für eine Mutter, was für ein Vater man eigentlich sein will. Was man seinem Kind eigentlich vermitteln möchte, sobald es da ist. Aber dafür müsste man ja mal in sich gehen und sich mit sich selbst beschäftigen. Völlig out.

Nein, es werden lieber Bücher gelesen über Stress- und Konfliktbewältigung, über Wickelmethoden und Schlafpositionen, „Mami to go“ und „Baby-Betriebsanleitung“ und „Wir sind Papa!“ und „Oje, ich wachse“.

Alles hochprofessionell. Als ob ein Kind am Anfang mehr bräuchte als Papas Arme und Mamas Brust. Es geht ihnen nicht um das Kind. Es geht ihnen um das neue Leben. Ums Angeben nach außen…und ums Einkitschen nach innen.

Frauen, die sich jahrelang geplagt haben mit Ausbildung und Beruf und geschimpft haben über Chancenungleichheit und geschrien haben nach der Frauenquote für Führungspositionen, träumen plötzlich nur noch vom Ausstieg. Vom Zuhausesitzen und Babyverwöhnen. Erst die Elternzeit, dann die Rückkehr in Teilzeit, dann die nächste Elternzeit, dann die nächste vielleicht endgültige Rückkehr in Teilzeit.
Das Kind ist der Weg hinaus aus der Pflicht, wird selbst aber als solche verkauft. Wehe, einer lacht! Hier wird nicht weniger als unsere Gesellschaft gerettet! Mit Nachwuchs, selbstverständlich hochbegabt. Das sind sie alle. Und nun her mit dem Mutterkreuz!

Was soll aus einem Kind werden, das aus selbstsüchtigen Motiven seiner Eltern in die Welt gesetzt worden ist? Das von Anfang an nicht mehr war als ein Schmuckstück für Mami, die Eintrittskarte in eine neue Welt, weil Mama und Papa es in der Realität nicht mehr ausgehalten haben…auch wenn sie nun gern so tun und reden, als wüssten allein sie, was das echte Leben ist.

Wie kommen Mama und Papa eigentlich auf die Idee, mit dieser armseligen Realitätsflucht stünden sie moralisch über der Klientel, die sich am Wochenende selbstgeschneiderte Gewänder anzieht und selbstgeschmiedete Schwerter umschnallt und auf Mittelalterfestivals herumstrunkelt?

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Donnerstag, 2. März 2017
Wie um alles in der Welt konnte die Menschheit überleben?
Wie um alles in der Welt konnte die Menschheit überleben? Wie war das möglich? Lese ich ich nach, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Mama-Zelle und Papa-Zelle zusammenfinden, müssten wir längst ausgestorben sein. Da steht irgendwo, dass zwei Zwanzigjährige, die komplett gesund sind und sich bester Fruchtbarkeit erfreuen, im Schnitt ein Dreivierteljahr benötigen, bis es klappt. Wie bitte?

Und wenn es klappt…dann kann unfassbar viel schiefgehen. Falsche Einnistung…Eileiterschwangerschaft…Ablösungen…Missbildungen…Fehl- und Totgeburten…Geburtskomplikationen. Man hat das Gefühl, nur jeder fünfzehnte Embryo überlebt. Und das heute, wo Frauen von Woche Eins an medizinisch begleitet werden, wo eine 3 D-Ultraschall-Flatrate als IGeL-Leistung gebucht werden kann, wo schon in der dritten Schwangerschaftswoche die ersten Vorbereitungskurse beginnen, wo Kreißsäle für die perfekte Auswahl des Geburtsortes vorab besichtigt werden können, wo elaborierte Speisepläne auch das letzte Vergiftungsrisiko ausschließen, wo es in Drogerien und Apotheken eigene Regal-Abteilungen für „Mamas und die, die es werden wollen“ gibt. Wie war das bloß vor ein paar hundert Jahren? Als Frauen von ihrer Schwangerschaft erst erfuhren, als sie plötzlich ihre Füße nicht mehr sahen? Als die Geburt darin bestand, das Kind einfach hinter sich auf den Acker plumpsen zu lassen? Statt in einem sterilen OP von einem Team aus Ärzten und Geburtshelfern bei frischen Handtüchern und heißem Wasser einer Form von Heilbehandlung unterzogen zu werden (seit wann ist die Geburt eines Menschen eigentlich ein medizinischer Notfall?). Wie konnte die Menschheit diese früheren Zeiten überleben?

Es dürfte auch eine bedeutende Fallzahl an Paaren geben, bei denen der Mann die Frau während der Schwangerschaft aus dem Fenster wirft oder mit einem nassen Handtuch erschlägt. Die Frau (das ist die, die jahrelang keifend darauf gedrängt hat, man müsse sich endlich fortpflanzen…und die nun poltert: „Na toll…jetzt versaue ich mir auch noch meine Figur für DEIN Kind!“) verändert sich nicht nur äußerlich. Sie wird ein ganzheitlich anderer Mensch. Hormone, Psychologie und ein rapide einsetzender seelischer Reifungsprozess bringen Müdigkeit, Gereiztheit und Übellaunigkeit in einem Maß mit sich, neben dem selbst osteuropäische KP-Diktatoren der frühen 70er Jahre wie Vorbilder des Anstands und der Fairness wirken.

Aber auch wenn die Männer ihre Freundinnen und Frauen leben lassen und somit die Chance auf ein Kind bewahren…die Wahrscheinlichkeit, dass es zu weiterem Nachwuchs kommt, müsste eigentlich verschwindend gering sein. Wenn eine Frau nach neun Monaten des schwallartigen Erbrechens, der Schmerzen, der Kurzatmigkeit und der geringstmöglichen körperlichen Belastbarkeit endlich den ersehnten Stichtag erreicht, stehen ihr Höllenqualen bevor. Vernichtungsschmerz mit der Angst, von innen heraus zu zerreißen, stundenlang. Und wenn sie dann an ihrem ausgeleierten, geschundenen Leib herabblicken und sich auf anderthalb Jahre Schlaflosigkeit, stalinorgelartiges Geschrei, permanenten Streit mit dem Kindsvater und finanzielle Not gefasst machen, sollte der Wunsch nach weiteren Sprösslingen eigentlich erloschen sein.

Und trotz alledem wird es in ein paar Jahren 10 Milliarden Menschen geben. Wie ist das möglich?

Die Natur hat es nur halb clever eingerichtet. Warum ist nur der Zeugungsakt etwas Schönes? Warum nicht auch die Geburt? Als Anreiz? Warum kein Orgasmus bei der Niederkunft? Evolutionspsychologisch unverständlich.

Aber es scheint ja zu reichen, dass die Bestäubung Spaß macht. Ein körperliches Grundbedürfnis ist. Für viele sogar einziger Lebensinhalt. Der Wunsch, sich fortzupflanzen, inspiriert fast alles. Wer Eiscreme verkaufen will, produziert Werbespots, in denen rot geschminkte Frauenmünder an Eishörnchen herumknabbern. Wer beruflich befördert werden möchte, versucht, von Chef oder Chefin möglichst attraktiv gefunden zu werden.

Eben sagte ich, der Wunsch nach Fortpflanzung inspiriere FAST alles. Freud ging noch weiter. Meinen 70 Zentimeter langen Schuhlöffel mag ich nicht deshalb, so Freud, weil er mir knieschonend den Weg in die Schuhe ebnet und eben praktisch ist.
Nein, ich mag ihn, weil davon träume, dass der Schuhlöffel mein Penis ist.

Stimmt glaub ich nicht. Vor allem glaub ich aber, dass mir mit einem Penis, der aussieht wie ein 70 Zentimeter langer Schuhlöffel, deutlich schlechtere Aussichten auf Fortpflanzung gewunken hätten. Damit hätte ich zwar einen kleinen Beitrag zum von mir prognostizierten Ende der Menschheit geleistet…hab ich aber nicht.

Ich freue mich auf J.

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